gefolgt von: Udo Grote: Das Epitaph des Domherren Andres von Valke im Paulusdom
Von außen her drang alles Neue, Neuernde und Ändernde nur mit Verzug ein. Was aber Einlass fand, wurde auch sesshaft. Es blieb und erhielt Gültigkeit, indem es sich mit dem Traditionellen verband. |
Die tom Ring waren Maler, Vater und zwei Söhne, und Johann Conrad Schlaun war Architekt. Die einen lebten im 16. Jahrhundert, der andere zwei Jahrhunderte später, und wenn man sich nach künstlerischen Persönlichkeiten Münsters fragt, deren Bedeutung über den Rahmen des Provinziellen hinausreicht, so wird man sich ihrer vor anderen erinnern.
In beiden Fällen bezeichnet ihre Kunst ein letztes Kapitel, und es zeigt sich, dass Westfalen, das man nicht gerade unter den Avantgardisten einer Epoche zu finden pflegt, hingegen in mehr als einem Falle die Kraft zu einer wesentlichen Aussage noch besaß, nach dem anderen Landes sich Energie oder Phantasie bereits erschöpft hatten.
Denn als die Tom Ring ihre Bilder malten, standen sie in Deutschland allein. Dürer, Grünewald, Hohlbein, Cranach d. Ä. waren kurz nacheinander gestorben, und die Epoche der altdeutschen Malerei hätte ohne die westfälische Variante bereits bald nach 1530 ihr Ende gehabt. Aber da, fassbar überhaupt erst nach der Wiedertäuferzeit, also nach 1535, beginnt die Tätigkeit des im Jahre 1496 geborenen Ludger tom Ring d.Ä., die in der Arbeit der Söhne Hermann und Ludger d.J. ihre Fortsetzung findet, so dass bis Ende des 16. Jahrhunderts die deutsche Malerei tatsächlich von Westfalen repräsentiert wird.
Die erste Katastrophe, die über die Stadt hereingebrochen ist, die Herrschaft der Wiedertäufer, hatte dem Schatz an münsterischen Kunstwerken unermesslichen Schaden zugefügt, während der Zeit danach gab es darum auch für die bildenden Künstler desto mehr Arbeit. Ludger der ältere war anfangs zwar politisch einigermaßen suspekt, Er war lutherisch gewesen wie der größere Teil der Bevölkerung, als ehemaliger Gildemeister – ein arrivierter Mann demnach – hatte er die Absetzung des katholischen Rates der Stadt mitbewirkt, und auf diese Maßnahme führte man es nicht zuletzt zurück, dass die Wiedertäufer hatten Fuß fassen können, – aber als Maler war Ludger nichtsdestoweniger geachtet geblieben, ja, als Maler war er nötiger denn je, und Domkapitel, Stadt und Bürgerschaft zögerten somit auch nicht, ihm ihre Aufträge zu erteilen.
Die Votivtafel des Domscholastiker Rotger Dobbe von 1538 kennzeichnet die Stellung des Künstlers zwischen den Zeiten. Die Komposition ist altertümlich, wie wohl noch keineswegs aus der Mode, die Zweiteilung des Bildes in eine himmlische und eine irdische Zone. Im Himmel thront Gottvater als Patriarch. In weitem Abstand knien die Chöre der Engel, eine unübersehbare Menge. Spruchbänder suchen ihrerseits ebenfalls an spätgotische Traditionen anzuknüpfen, der Rückgriff auf das inzwischen vergangene 15. Jahrhundert scheint mit einem gewissen demonstrativen Eifer vor sich gegangen. Es ist als habe man ausdrücklich zurückverweisen wollen auf die Zeit vor den entsetzlichen Wirren, die der moderne Zeitgeist im Gefolge gehabt. Auch die untere Bildhälfte birgt Traditionelles, Christus und Maria treten als Fürbitter auf für den verstorbenen Stifter, der, angetan mit Chorhemd und Pelzmantel, Im Mittelgrunde kniet. Er war während der Zeit der Bilderstürmerei emigriert, denn was hätte er damals hier zu suchen gehabt.
Wohin er sich gewandt, ist unbekannt, auf einen Aufenthalt in den Niederlanden darf schon der geographischen Nähe wegen geschlossen werden. Insbesondere aber daraus, dass er sich jetzt im Vortrag seiner Malerei den modernen Niederländern nahe weiß. Der Illusionismus, die bis zur Täuschung vorgetriebene Naturtreue, die Genauigkeit der Einzelheiten, das sind die ganz modernen Züge auf Ludgers Bild. Ob es sich um die scharfkantige Meißelarbeit an der Geißelsäule handelt, auf welcher Christus kniet, um die Wiedergabe des Materials, um den dunkelfarbenen Marmor oder das hellrote Damast-Pluviale mit der breiten goldbesticktem Borte, um die große edelsteinverzierte Schließe auf Christi Brust, das alles ist ebenso täuschend gemalt wie der blaugraue, hermelingefütterte Mantel der Maria, moderne Malerei also, auf ein überliefertes Bildschema angewandt, und wenn sich auch früher schon in den Bildhintergründen tiefräumige Landschaften finden lassen mit Städten, Burgen und Klöstern, mit den Fernblicken auf das Meer und seine Randgebirge, oder wenn es auch früher schon Blumen gibt auf den Wiesen des Vordergrundes, die sich botanisch bestimmen lassen, so ist jetzt diesen Einzelheiten allen ein erhöhtes Leben zu eigen das Ganze leuchtet zudem in Farben von emailliertem Schmelz. Ludger hat gerade auch sie seinen Söhnen vermacht.
Mit seinem älteren Sohn Hermann, der später die münsterische Werkstatt übernehmen sollte, ist Ludger d. Ä. der kostbaren Domuhr tätig, beziehungsweise an deren Wiederherstellung; das ältere Werk war nämlich von den Wiedertäufern demoliert worden. Jetzt –1540 bis 1542– wurde es neu eingerichtet. Das Kalendarium enthält jeden Tag der Jahre von 1540 bis 2071, der astrologische Apparat nennt den Stern, der über jeder einzelnen Stunde steht, der Mondwechsel wird im Zeitmaße angegeben, kurz, es handelt sich um eine jener Uhren, bei denen sich feinmechanisches Können, mathematisches Wissen und astrologische Gelehrsamkeit des späten Mittelalters zusammengefunden haben. Das oberste Stockwerk dieser Uhr ist auch hier einer Attraktion gewidmet, wie man sie manchmal findet: um zwölf Uhr gibt es den Umzug der Heiligen Drei Könige nebst Gefolge, die sich vor dem Standbild der Muttergottes mit dem Kinde artig, wie wohl ein wenig ruckweise verbeugen.
Gerade dieses kleine Schauspiel vollzieht sich vor reich bemaltem Hintergrund. In offenen Renaissancehallen drängt sich eine schaulustige Menge, in der man an einer Stelle den Künstler selber erkennt. Die Mitte nimmt eine reich verzierte Giebelfassade ein, durch deren Fenster man im Inneren einen Saal erblickt. Bezeichnend ist das perspektivische Raffinement, mit dem diese Gebäude geschildert sind, und die hier am Werke waren, müssen auch etwas von Baukunst verstanden haben. Besonders Hermann der Sohn wird in Münster auch als Architekt tätig gewesen sein. Das kleine Selbstbildnis Ludgers des Älteren gibt nicht nur den Künstler zu erkennen als einen ernsten und gereiften Menschen, es zeigt auch das Bildnisschema eng dem Zeitstil angeschlossen, das Brustbild hinter der gemalten Steinbrüstung, auf der sich gern der Name des dargestellten, ein Sinnspruch und ein Datum finden lassen.
Ludger der Ältere starb im Jahre 1547. Er und seine Frau Anna innerhalb von vierundzwanzig Stunden, eine Epidemie wird sie dahingerafft haben. Ein Jahr danach fertigten die ältesten Söhne Hermann und Ludger der Jüngere die große Votivtafel an, die in der Überwasserkirche hängt, mit dem Familienbild, auf dem auch die übrigen Kinder erscheinen mit den zwei großen Tafeln, auf denen die Zehn Gebote in niederdeutschen Reimen geschrieben stehen. Hinter den Köpfen der Familienmitglieder erscheinen zwei alttestamentliche Motive, der Tanz des Volkes Israel um das goldene Kalb und Moses, der auf dem Berg Sinai die Gesetzestafeln erhält. Beides ist wohl als Hinweis zu deuten auf jüngste Vergangenes: auf die Häresie der Wiedertäufer und auf die danach wiederum erfolgte Verfestigung des alten Glaubens, den auch der nunmehr verstorbene Künstler erneut zu bekennen gelernt hatte.
Hermann tom Ring war ein langes Leben beschieden, und wer Bildnisse von ihm aus verschiedenen Jahrzehnten betrachtet, spürt, wie stark sich im Laufe des 16. Jahrhunderts das Bild des Menschen wandelt. Das frühe Bildnis des fünfundzwanzigjährigen Musikers aus dem Jahre 1547, Von der Hand des sechsundzwanzigjährigen Malers, ist von einer frische und Lebensunmittelbarkeit, die an die besten Leistungen der letztvergangenen „großen“ Generation erinnert. Der Glanz der klassisch-humanistischen Epoche, der Schimmer einer kurzen Zeit der Freiheit zu sich selbst sollte aber rasch verblassen, das andere Bildnis, z. B. das des Grafen Eberwin von Bentheim von 1560, dessen kränkliches Haupt sich kaum noch der repräsentierenden Wappen ihm zur Seite erwehren kann, kennzeichnet den inzwischen eingeschlagenen Weg des Manierismus, der das Gesetz, die Norm wieder über das individuelle Leben zu stellen beliebte, das Impulsive aber zu erstarren zwang.
Welcher Dramatik Hermanns Temperament hingegen fähig war, lehrt die Zeichnung des Todes als Bogenschütze. Das kleine Blatt hat etwas Atemberaubendes in seiner Aggressivität, wie das Herzstockende der blitzartigen Erkenntnis, dass ja der Tod einen Jeden in jedem Augenblick zu erteilen vermag. In einer Darstellung des Jüngsten Gerichts zu Utrecht hat Hermann das hier diskutierte Motiv des Weiteren ausgeführt.
Der Dreiundsiebzigjährige malt schließlich, sein Alter verleugnend, den großen Flügelaltar für die Überwasserkirche mit der Darstellung der Verkündigung, die er sich in einem hiesigen Patrizierhause vollziehen lässt. Der hohe, vornehme Saal ist bis in alle Einzelheiten hineinporträtiert, und ebenso real und deutlich ist die gesamte Darstellung, weitab des dünnblutigen, intellektuellen Manierismus, ein durchaus naturnahes, ja diesseitiges Werk von erstaunlicher Energie.
Ludger der Jüngere, Hermanns jüngerer Bruder, war damals schon zehn Jahre tot. Seine Spur führt nach Braunschweig, denn er ist lutherisch gesonnen, und in Münster ist daher seines Bleibens nicht. Bildnisse sind sein Hauptarbeitsgebiet. Metaphysisches zu bekunden, liegt ihm weniger, er schildert das Sichtbare ebenfalls im Rahmen des manieristischen Zeitstiles, der das Lebendige einigermaßen zu unterkühlen liebte, der gleichermaßen Lebensangst und Todesfurcht kannte, aber von beiden eine zuchtvolle Distanz zu wahren bemüht blieb.
So hat sich auch in den Bildnis des Mindener Pastors Huddaeus von 1568, dem Stundenglas und Totenschädel zur Mahnung beigegeben sind, der Zeitlichkeit des irdischen Daseins zu gedenken, ein Gutteil des Lebendigen hinter das Formale zurückgezogen und die Mitteilung ihrer Unbefangenheit verloren. Allegorisches Beiwerk, schriftliche Erläuterungen treten oft an die Stelle vitaler Fülle. Desto frischer wirkt der Hintergrund des kleinen Bildes, der deutlich die Porta Westfalica und das früheste Stadtbild von Minden zu erkennen gibt, ein unmittelbares Landschaftsportrait.
Ludger der Jüngere schuf endlich mehrere Blumenstilleben (1562), die ersten reinen Stillleben diesseits der Alpen. Hier hat sich erhalten, was dem menschlichen Wesen der Zeit oftmals verloren gegangen war, die Selbstverständlichkeit des Natürlichen, das einfache Sein. Hier sind Blumenbildnisse, Lilien und Irisblüten in ihren Vasen, nicht symbolisch zu deuten, nicht intellektuell belastet. So zeigt sich ein Ausweg aus dem komplizierten Bereiche des Menschlich-Organisierten an. Im 17. Jahrhundert sollten die Niederlande das Stillleben großartig entwickeln. Es ist, als seien von diesen Blüten des jüngeren Ludger die Samen nach Westen geweht, um dort ihren Aufgang zu feiern.
Von den tom Ring zu Schlaun ist es ein weiter Schritt. Vom Dreißigjährigen Krieg, der das 17. Jahrhundert einleitete, spielte der letzte Teil in Münster, die Friedensverhandlungen, und fünf Jahre lang genoss die Stadt die Vorzüge der Immunität. Reichsunmittelbar zu sein war aber seit langem das Ziel der Hansestadt gewesen, und der Wunsch, sich der geistlichen Herrschaft zu entziehen, hatte schon mancherlei innenpolitische Spannungen bewirkt. Stärker als jemals zuvor lehnte sich die Stadt gegen ihre Herrschaft auf, als die Verhältnisse nach Abschluss des Friedens wieder normalisiert werden sollten, und zehn Jahre nach dem Westfälischen Frieden kam es in Münster zum Krieg. Im Jahre 1661 fand er mit der endgültigen Niederlage der Stadt, mit dem Ende all ihrer freiheitlichen Bestrebungen seinen Abschluss. Wieder einmal, wie zur Wiedertäuferzeit, hatte der Bischof gesiegt.
Seine Partei in der Stadt zu stärken, wurde strenger als bisher der Adel angehalten, hierorts Wohnung zu nehmen. Auch die Mitglieder des Domkapitels sollten jetzt hier ansässig sein. Allenthalben entstehen Kurien und Adelshöfe und teilen der alten Kaufmannsstadt einen Zug eleganter Noblesse mit. Zweifellos sehr diskreter und gemäßigter Eleganz, bescheidener Noblesse, aber auffällig genug. Schon aufgrund des Materials, denn gegenüber dem Baumberger Sandstein, indem das vorbarocke Münster errichtet wurde, wird der rote Backstein modern, wird er aus Holland übernommen gleich dem ganzen System dieser Höfe, bei denen sich drei Flügel um die nach der Straße zu offene Cour d‘honneur legen. Im Grunde also das Schema des französischen Hotels, doch gegenüber dem Urbild schlicht im Dekor, zurückhaltend im Temperament, gewissermaßen klassizistisch, der holländischen Abwandlung gemäß, entsprechend dem eigenen westfälischen Naturell.
Der letzte und bedeutendste, der freieste Architekt dieser Zeit ist Johann Conrad Schlaun (1695 - 1771). Er besitzt mehr Phantasie als seine Vorgänger, hat auch mehr Beispiele südlichen Barocks gesehen. Bei Balthasar Neumann in Würzburg hat er gelernt, er ist in Rom, München und Frankreich gewesen, und nun übernimmt er zahlreiche Aufgaben, die seiner im Dienste des Kurfürsten von Köln und Fürst Bischof von Münster harren.
In Münster hat sich von seinen Bauten nichts erhalten, außer den Ruinen und eine längst profanierte und entstellte Kapelle (die zu dieser Zeit noch nicht wiederaufgebaute Clemens-Kirche).
Sein bestes war der Erbdrostenhof (1753-1756), ein genial konzipierter Bau, der die beiden Seitenflügel absolut original miteinander verschmolz zu einem ebenso elastischen wie energieerfüllten Gebilde. Im Gegensatz zu zahlreichen Kurien ist es ein profaner Hof, Beispiel jener Stadthäuser also, deren Eigentümer vordem in erster Linie auf dem Lande sesshaft, nun zumindest während des Winters ihre Wasserburg zu verlassen pflegten zugunsten des bequemeren städtischen Daseins, verfeinert dem Leben zugewandt. Undenkbar sind daher diese Höfe ohne den Festsaal, der hier die ganze Tiefe des Hauses und zwei Stockwerke durchmisst, illusionistisch reich bemalt und vornehm ausgestattet, ein Sammelpunkt formgewandter Geselligkeit.
Im Jahre 1767, d. h. im Alter von zweiundsiebzig Jahren, erhielt Schlaun noch den Auftrag, die hiesige größte bauliche Anlage des ganzen Jahrhunderts zu schaffen, das fürstbischöfliche Schloss.
Das breit hingelagerte Gebäude enthält zwei komplette Residenzen, von der Mitte aus symmetrisch nach beiden Seiten hin verteilt, einem ebenbürtigen Gast die gleiche Wohnung einzuräumen, wie sie der Hausherr selbst besaß, Beispiel barocker Anspruchsfülle.
Am Schloss, das zurzeit zum Hauptgebäude der Universität neu aufgebaut wird, zeigt sich, dass Schlaun künstlerisch ein nun schon Verspäteter ist. Die Dekoration durch zärtliche und grazile Rokokostukkaturen setzt bei seinem Tode im Jahre 1773 sofort aus. Der größere Teil des Gebäudes war nämlich erst im Rohbau fertig, und die innere Ausstattung hatte erst begonnen. Schlauns Nachfolger, Wilhelm Ferdinand Lipper, kümmerten die schlaun’schen Entwürfe alsbald nicht mehr. Sie galten als veraltet. Der Festsaal zeigt den neuen Louis XVI.-Stil, den neuen Geist, in dem nun der Bau zu Ende geführt wurde.
Wie stark Schlaun, der aus dem Paderbornschen stammte, das Münsterische und Münsterländische zu seinem Eigentum gemacht hat und zugleich mit seinem künstlerischen Stil zu verbinden gewusst, vermag das erhaltene Rüschhaus zu zeigen, ein kleiner Landsitz unweit der Stadt, Bauernhof ebenso wohl wie Wohnung eines Anspruchsvollen, aber taktvoll unterschieden von der Art, in welcher der Adel sich jetzt hier gelegentlich seine älteren Wasserburgen zu erneuern pflegte. Rüschhaus ist bei aller Schlichtheit so reich an spezifischer Wohnlichkeit, dass die Droste-Hülshoffs es später gern erwarben. Annette konnte es als ihr eigentliches Heimathaus betrachten.
Münster ist nie Mitte und Ausgangspunkt epochaler künstlerischer Bewegungen gewesen. Eingebettet in das Münsterland lag es allzeit etwas isoliert und versteckt, und auch von außen her drang alles Neue, Neuernde und Ändernde nur mit Verzug ein. Was aber Einlass fand, wurde auch sesshaft. Es blieb und erhielt Gültigkeit, indem es sich mit dem Traditionellen verband. Außerordentlich bezeichnend, dass die tom Ring so spät kamen und dass auch Schlaun die besten Zeichen westfälischer Barockkunst schuf, als der neue Stil Einlass heischend schon vor dem Tore stand.
(Dr. Harald Seiler, Kunsthistoriker, bis 1952 Leiter des Westfälischen Museums für Kunst und Kulturgeschichte/LWL-Musuem)
Auferweckung des Lazarus, Hermann tom Ring
Stifter: Domherr Andreas von Valke (1546)
Im Bild links neben dem Gab knieend, in Talar und Chorhemd
Rechte Halle: hl. Wilhelm der Eremit (Guglielmo di Mallavalle)
hl. Getrud von NivellesLinke Halle: hl. Hubertus in bischöflichem Ornat
hl. Agnes
Im Zentrum des Bildes, vor einem Landschaftshintergrund, vollbringt Jesus das Wunder der Auferweckung des Lazarus (Joh. 11, 1 - 44), der in einem Sarkophag sitzt und dessen Binden von Petrus gelöst werden. Maria kniet vor Jesus, hinter dem die übrigen zwölf Apostel stehen, nieder. Ihr Blick ist auf Lazarus gerichtet.
Links vom Grab erscheinen Juden, die gekommen waren um Maria und Martha, die neben Jesus steht, Trost zu spenden. Zwei der Begleitfiguren halten sich ein Tuch vor die Nase, da die Verwesung des Lazarus bereits eingesetzt hatte.
Der Schauplatz ist durch einen Eisenrost zwischen den Säulenhallen als Friedhof gekennzeichnet. Dieser Rost sollte das Vieh, insbesondere Schweine, vom Friedhof fernhalten. Er wurde auch als Teufelsrost bezeichnet, da der Teufel ebenfalls gespaltene Füße hat. Vor dem Sarkophag des Lazarus kniet in betender Haltung der Stifter in Talar und Chorhemd. Das Thema der Auferweckung des Lazarus wurde von ihm sicherlich gewählt um die Auferstehungshoffnung auszudrücken. Neben dem kompositorisch geschickt verteilten und individuell dargestellten Personen und Personengruppen wird das Bild stilistisch zudem durch den perspektivisch angelegten, fein differenzierten und von Wolken verhangenen Landschaftshintergrund geprägt, der durch Bäume, Burg, Mühle und Häuser bestimmt wird und sich im Hintergrund in einer zarten, verblauenden Landschaftsstruktur mit Fluss auflöst.
Das gesamte Bild wird von einem fein abgestuften Kolorit bestimmt. Äußerst subtil modelliert sind die Gesichter der Maria und Martha mit ihren weißen Schleierhauben. Darüber hinaus bestimmen die Rot– und Rosatöne der Gewänder, die geschickt verteilt sind, die Komposition des Bildes und das Agieren der Personen entscheidend mit. Diese stilistischen Merkmale machen die hohe Qualität des Bildes aus, das somit ein Meisterwerk des hochbedeutenden Malers Hermann Tom Ring ist.
Udo Grote, Stephan Kube (Fotos), Der Dom zu Münster 2014, S.117