Dr. Herrmann Busen
Landeskonservator
Die Clemenskirche
zu Münster



Münster exclusiv



Der Wittelsbacher Clemens August (1700 bis 1761) war schon mit 24 Jahren des Heiligen Römischen Reiches Erzkanzler und Kurfürst, ferner Erzbischof von Köln und Fürst Bischof von Münster, Paderborn, Hildesheim und Osnabrück. Dieser Monsieur des Cinq Eglises verfügte als Herr von fünf Bistümern über eine große Anzahl von Stimmen im Reichstag und dadurch über eine beträchtliche politische Macht. Er hatte sie nicht angestrebt und auch nicht die geistlichen Würden, ja auf beides wollte er lieber verzichten als die höheren Weihen annehmen; sein ehrgeiziger Vater, Kurfürst Max Emanuel von Bayern, hatte ihm Kurfürstenwürde und Priesterweihe aufgedrängt. So lag über 40 Jahre lang die stärkste politische Macht Nordwestdeutschlands in der Hand eines Mannes, der diese nicht schätzte, und die größte Zusammenfassung staatlicher Würden auf der Schulter desselben Mannes, der sich ihrer zu entziehen versucht hatte. Seine Welt war eine andere, es war die Welt der Freude, Schönheit, Anmut und verschwenderischen Güte, und sein Leben bestand aus dem Dreiklang Theater, Jagd und Baulust in allen seinen Formen. Die Politik benutzte er, um hierfür die nötigen Mittel durch Subsidien der auswärtigen Mächte, also durch Bestechungsgelder zu erhalten. Was Wunder, dass man ihn die Wetterfahne Europas nannte. Seinem Volke ging es dabei nicht schlecht. Nach seinem Tode sang man: „Bei Clemens August trug man blau und weiß, da lebte man wie im Paradeis“.

Clemenshospital im Modell (eigenes Foto)

Dieser prachtliebende, lebensfrohe Fürst war dennoch fromm, und seine Lebensfreude konnte in tiefe Melancholie umschlagen. Seine Religiosität äußerte sich in karitativen Stiftungen, vor allem in seiner größten, der Stiftung des Clemenshospitals zu Münster. Schon 1732 stellte er die riesige Summe von hundert 100 000 Gulden zur Verfügung. Der Bau am Neuplatz kam aber bald zum Erliegen und erst als ein neuer Bauplatz gefunden war, konnte 1745 der Grundstein an der jetzigen Klemensstraße gelegt werden. Kirche und Hospital widmete der Stifter seinem Fürsprecher bei Gott, dem heiligen Clemens.
Für Bau und Ausschmückung wählte er die tüchtigsten Künstler. Schon den ersten Entwurf auf dem Neuplatz hatte Clemens August durch seinen obersten Baubeamten, Johann Conrad Schlaun, anfertigen lassen. Das neue Grundstück lag zwischen zwei engen Gassen, die spitzwinklig einmündeten. Schlauns großer städtebaulicher Gedanke war es, die Kirche als Zentralbau auf die Spitze des Grundstücks zu setzen, um dadurch der gesamten Anlage einen architektonischen Halt und der Kirche eine repräsentative Schauseite zu geben. Die Gliederung des Kircheninneren ist von genialer Einfachheit und Konsequenz. An einen Zentralraum lehnen sich sechs Nischen, die von Rundnische zu Flachnische wechseln. Sechs starke Pfeile mit Doppelpilastern tragen das Hauptgesims, das diese Nischen überspannt. Grundriss und Aufriss entstehen durch Teilabschnitte des kreisrunden Hauptraumes: den sechsten Teil dieses Kreises bilden die Achsen der Pfeiler, hiervon die Hälfte die Breite der Pfeiler, hiervon ein Drittel die Breite der Säulen und Pilaster, davon die Hälfte aber den Modul. Hatte der Handwerker dieses Maß, so wusste er, wie er den Aufriss der Pilaster, Säulen, Kapitelle und Gesimse anzufertigen hatte. Von den fünf möglichen Säulenordnungen wählte Schlaun die korinthische als die schlankste und festlichste. Über das Hauptgesims spannte er eine halbkugelförmige Kuppel mit Laterne. Die Hochaltarnische mit dem beherrschenden Bilder von dem Martyrium des heiligen Clemens betonte er durchzwei in den Raum vorspringende Säulenpaare. In die beiden angrenzenden Rundnischen stellte er die Nebenaltäre, in die sich anschließenden zwei Flachnischen die Beichtstühle, und den Eingang legte er wiederum in eine Rundnische.


Quelle: Bieker/Wollheim/Romeis/, Westfäluscher Barock, Auf Johann Conrad Schlauns Spuren, Müster 1995

Quelle

Aufriss der Clemenskirche

Aufriss der Kirche S.Ivo alla Sapienza/Rom

Die Kunstgeschichte hat überlegt, woher Schlaun seine Anregungen zu diesem Raum nahm. Mit 27 Jahren war in Rom gewesen. Der Grundriss von Borrominis Kirche S. Ivo della Sapienza (1642), den Schlaun aufmaß, erinnert sehr an die Clemenskirche: Hier wie dort ein kreisrunder Hauptraum, an denen sich 6 Nischen im Wechsel von runden und eckigen Nischen lehnen. Boromini schiebt aber diese Nischen in den Mittelraum und bindet ihre Gewölbe in der Hauptkuppel ein, wodurch der Raum unruhig wird und zerflattert. Schlaun trennt die Nischen durch kräftige Pfeile und bändigt den Rhythmus ihrer schwingenden Gurtbögen und graden Stürze so weit durch das starke, kreisrund umlaufende Hauptgesims, dass ein zwar lebendiger, aber doch geschlossene Raum entsteht. Dieser schönste Raum von Schlaun ist zugleich sein charakteristischster. Er zeigt die für ihn typische Synthese der lebendigen Formen des späteren italienischen Barock mit den strengen des niederländisch - französischen.


Quelle

Quelle

Altarnische Clemenskirche

Altarnische der Kirche
Sant' Agnese in Agone, Rom/Piazza Navona

Die Clemenskirche, viel zu groß für ein Hospital mit 19 Krankenbetten und 9 Brüdern, war vor allem eine Verherrlichung des Namenspatrons des Stifters, des heiligen Clemens. Das hoch Altarbild mit dem Martyrium dieses Heiligen gab Clemens August schon bald nach Baubeginn in Auftrag an den Venezianer Giovanni Battista Pittoni. Es zeigt den greisen Papst, der sich geweigert hatte, ein Götzenbild anzubeten, und nun mit einem Anker um den Hals in den Tiber gestürzt werden soll. Das Bild hängt vor einem weitaus schwingenden Vorhang, den Engel um 2 große Säulenpaare ziehen, welche das hier verkröpfte Hauptsims tragen. Über ihm wird der jugendlich verklärte Leib des Papstes, nun nicht mehr gemalt, sondern als Halbrelief, von Engeln in den Himmel gehoben. Über den 5 übrigen Nischen schweben am Hauptgesims Engelgruppen mit den Marterwerkzeugen und Emblemen des Heiligen. Schlaun meinte, „dass bei der Darstellung der Aufnahme des heiligen Clemens in den Himmel der Herr Frescomaler weiter seine guten Gedanken in der Kuppel ergehen lassen werde“. Mit dieser Aufnahme des heiligen Clemens in den Himmel, also mit der Ausmalung der Kuppel, beauftragte Clemens August 1750 seinen Hofmaler Adam Schöpf, den er aus Bayern herübergeholt hatte. Über den ursprünglich in gedämpften Farben gehaltenen Kirchenraum spannte der Künstler einen weiten Himmel mit dem Reigen von mehreren hundert Engeln, Märtyrern und Heiligen, allen voran Maria, die über ihren Sohn die Fürbitten an Gott Vater weitergibt, und hoch in der Laterne die Taube des Heiligen Geistes. Die geniale Bau Idee von Schlaun wurde also durch hervorragende Künstler ergänzt, um den Lobgesang auf den heiligen Clemens zu vervollständigen und jene Einheit von Architektur, Plastik und Malerei zu erreichen, welche zum Wesen eines Barockraumes gehört. Clemens August strebte zum äußerst Erreichbaren, und so wurde die Clemenskirche zu Münster ein Juwel unter den Barockkirchen Deutschlands. Im Jahr 1753 konnte sie eingeweiht werden, sie hatte mit dem Spital 148 099 Gulden gekostet.

Im Januar 1753 wurde die von Johann Conrad Schlaun erbaute Clemenskirche zu Münster eingeweiht. Als einer der schönsten barocken Kirchenräume Nordwestdeutschlands wurde dieser genial geplante und reich mit Stuck und Malerei geschmückte Zentralbau berühmt. In den Jahren 1943 - 1945 wurde er zerstört. Nur Trümmer der Umfassungsmauern mit Resten des Honor Metallen und figürlichen Stucks blieben erhalten. Nun ist er wieder Aufbau vollendet, die Malerei rekonstruiert und neue Putten beleben die Gesimse.

Der Wiederaufbau machte der Denkmalpflege nicht nur finanzielle Sorgen. 3000 Jahre lang wurden verfallene oder beschädigte Bauten in Europa, Kleinasien und Ägypten in den alten Formen wiederhergestellt, und manche Tempel, das Colosseum, die Katakomben sowie die gotische Dame des Nordens sind nur noch bedingt Originale. Aber wer möchte sie müssen? Sollen wir nicht auch tun, was man in den vergangenen Jahrtausenden tat? So entschloss man sich 1956, auf das Hospital zwar zu verzichten, die Kirche aber anhand der Baureste und der noch vorhandenen Entwurfszeichnungen Schlauns wiederaufzubauen. Der bis auf den Helm erhaltene, ursprünglich von Gebäuden umschlossene Glockenturm blieb als Campanile stehen. Im Innern beseitigte man die Einstellungen von der großen Restaurierung der Jahre 1889 – 1891 und stellte den Architekturstuck nach den Plänen Schlauns wieder her (Ausführung durch Norbert König in Düsseldorf und Franz Gathmann in Münster). Sollte man hier mit den Wiederaufbau abschließen oder auch Gemälde und Plastiken rekonstruieren? Der Originalwert eines Gebäudes ist nicht mit dem eines Gemäldes zu vergleichen, kommt es bei letzterem doch nicht nur doch nicht nur auf die Form, sondern auch entscheidend auf die Pinselführung des Künstlers an. Aber auch hierbei darf man nicht verallgemeinern. Die Hofmaler und die viel beschäftigten Maler des Barock und Rokoko hatten eine große Werkstatt. Der Meister entwarf und die Werkstatt führte die Arbeiten aus, wobei man den Meister Antlitz und Hände überließ. Ein Barockbild ist also oft nur eine „originale Kopie“. Der Entwurf zum Hochaltarbild der Clemens Kirche von Pittoni ist wesentlich besser als das zerstörte Original; ohne Zweifel handelt es sich auch hierbei um eine solche „originale Kopie“, an welcher der Meister nur im bescheidensten Umfang selbst Hand angelegt hatte. Lässt man nun durch einen geschickten Maler den kleinen Entwurf Pittonis (im Besitz der Universität Uppsala z. Z. in Münster) wieder in die großen Dimensionen des Altarbilds übertragen, so macht man das Gleiche wie vor 200 Jahren. Ähnlich verhält es sich mit der Gewölbemalerei. Zur Ausmalung von 748 qm Gewölbefläche war der Hofmaler Adam Schöpf auf eine Werkstatt angewiesen, seine künstlerische Leistung lag im Entwurf und seine geistige in der ikonographischen Gesamtkonzept der Verherrlichung des heiligen Clemens. Das Problem für die Denkmalpflege bestand also darin, einen Künstler zu finden der heute noch in der Lage und willens ist, Werkstattleiter eines längst verstorbenen Meisters zu sein.

Nach sorgfältigen Suchen glaubte die Denkmalpflege, einen solchen in der Person des Wiener Professors Paul Reckendorfer gefunden zu haben. Dieser hatte zunächst in der Stadtkirche zu Innsbruck, dann in den Schlössern Schönbrunn, Belvedere und schließlich in der Akademie in Wien mit Erfolg anhand von Fotos und Farbdias barocke Fresken rekonstruiert.

Von der Clemenskirche gab es etwa 30 Innenaufnahmen, 9 großformatige Farbfotos und 54 Farbdias von der Gewölbemalerei. Zunächst wurde in ein Foto von der Kuppel ein Koordinatensystem eingezeichnet, worin die Ausschnitte der Einzelaufnahmen eingetragen wurden. Anschließend fertigte Paul Reckendorfer ein Kuppelmodell an, worin er den farblichen Aufbau des Deckengemäldes anhand von Dias und Vergleichen mit erhaltenen Originalgemälden des Adam Schöpf festlegte. Dann wurde das gesamte Deckengemälde an Ort und Stelle auf einen Unterputz aufgezeichnet und darauf schließlich das Fresko ausschnittweise in der Größe von Tagewerken aufgemalt. Ende November 1966 rüstete man soweit aus, dass man das Ergebnis vom Boden der Kirche aus zum ersten Mal beurteilen konnte. Bei einem Abstand von etwa 20 Metern sieht man nicht mehr den Pinselstrich, sondern nur noch den farbigen Himmel mit dem Reigen der Engel und Heiligen.

Gleichzeitig mit der Ausmalung der Kirche schuf der Bildhauer Siegfried Springer anhand von Resten und Fotos den figürlichen Schmuck am Hauptgesims. auch dieser junge Künstler fand sich schnell in der Welt des Barock zurecht, seine Putten quellen über von schäumendem Leben. Rückschauend bin ich der Meinung, das es richtig war, nicht bei der Wiederherstellung der Architektur und des Architekturstucks Halt zu machen. Es lag nicht im Sinne Schlauns, dass sein Hauptgesims durch Figurengruppen unterbrochen wurde. Die Kuppel, welche ohne Ausmalung wie eine flache Decke ausgesehen hätte, sollte nach einer Anweisung einen Himmel mit Heiligen darstellen, der den heiligen Clemens aufnimmt und sich bunt und lebendig über die männliche Architektur des Raumes erhebt. Der für Schlaun selbstverständliche Dreiklang von Architektur, Plastik und Malerei ist nun wieder hergestellt. Die Stadt Münster aber wird in absehbarer Zeit neben ihrem berühmten mittelalterlichen Kirchen auch ein barockes Juwel wieder besitzen, die geniale, einzigartige Clemenskirche von dem größten westfälischen Barockbaumeister Johann Conrad Schlaun.

Aus: Münster exklusiv hrsg. V. Münsteraner Kaufleuten in den 60er Jahren