Kardinal von Galen und die Juden
Auszug aus dem Buch
„Kardinal Clemens August Graf von Galen in seiner Zeit“
von Ludger Grevelhörster/Historiker
Die Frage nach Galen und den Juden wird in allen Darstellungen zur Person immer wieder gestellt. So berechtigt sie ist, so schwer fällt es aus Quellengründen, zu einer abgesicherten und auch nur halbwegs vollständigen Antwort zu gelangen. Es gibt hierzu nur wenige überlieferte Hinweise, die folgendes fragmentarisches Bild ergeben:
Anders als manche seiner adligen katholischen Standesgenossen hat Galen im Zusammenhang mit seiner grundsätzlichen Kritik an der Weimarer Republik nicht den Versuch unternommen, „die Juden“ oder einzelne Juden für die kritisierten gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse der Weimarer Zeit verantwortlich zu machen. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, welche den aggressiven Antisemitismus – den Hass auf die Juden und alles angeblich „Jüdische“ – zur offiziellen Staatsanschauung erhoben, stand Clemens August unzweideutig auf der Seite derer, die aus katholisch-kirchlicher Sicht gegen die nationalsozialistische Rassenvergötzung Front machten. In seinem Aufsehen erregenden Hirtenbrief zu Ostern 1934 hat er sich früher als andere Bischöfe unmissverständlich gegen die ideologischen Grundlagen der Judenverfolgung gestellt, indem er die Überhöhung von „Blut und Rasse“ entschieden verurteilte. Weiterhin verwahrte sich der Bischof von Münster nachdrücklich gegen die Versuche nationalsozialistischer Schulbeamter, das „jüdische“ Alte Testament zu verleumden und seine Behandlung im katholischen Religionsunterricht inhaltlich zu verändern beziehungsweise zu unterbinden. (…)
In der so genannten Reichskristallnacht war Galen nicht in Münster, sondern hielt sich mehrere Tage im Ruhrgebiet auf. Er erfuhr von der Zerstörung der Synagoge und von der Verhaftung des Rabbiners Dr. Steinthal, dessen Wohnung in der Klosterstraße neben der Synagoge die SA zuvor verwüstet hatte. Galen schickte über Telefon eine Frage an Frau Steinthal, was sich zugetragen hatte. Grevelhörster berichtet weiter: |
Einer glaubhaften Zeugenaussage zufolge traten einige Tage nach dieser Schreckensnacht mehrere Vertreter der münsterischen jüdischen Gemeinde unter Leitung des inzwischen freigekommenen Dr. Steinthal an Galen mit der Bitte heran, öffentlich zu Gunsten der bedrängten Juden einzutreten. Das habe Clemens August zwar nicht unmittelbar abgelehnt; er habe aber zu bedenken gegeben, dass die Situation für sie dadurch „nur noch schlimmer“ werde, woraufhin ein solcher Protest im Einverständnis mit den jüdischen Bittstellern unterblieb. Später, im Herbst 1944, brachte Galen indes in einem bezeugten Gespräch mit seinem Generalvikar Meis zum Ausdruck, dass er schwer daran trug, nach dem Synagogenbrand 1938 gegen dieses „sakrilegische Verbrechen“ nicht sofort öffentlich eingeschritten zu sein.
Seit dem Herbst 1941 waren die deutschen Bischöfe, und damit wohl auch Galen, über die beginnenden Deportationen der jüdischen Mitbürger in den Osten im Bilde. Noch gingen die katholischen Oberhirten allerdings davon aus, es handele sich um eine „Umsiedlungsaktion“, verbunden mit der Einweisung in Arbeitslager. Spätestens seit Mitte Februar 1942 lagen ihnen aber die ersten glaubhaften Hinweise über Erschießungen vor. Es wurde nun immer klarer, das die physische Vernichtung – die gezielte Ermordung – der Juden als systematische Aktion angelaufen war. Von der Bischofsstadt aus waren im Dezember 1941 die ersten münsterischen und münsterländischen Juden deportiert worden. Am 27.Januar 1942, 31.März und 31.Juli jenes Jahres folgten drei weitere Zwangstransporte nach Riga, Warschau und Theresienstadt. Ob und inwieweit Galen über die Vorgänge Nachricht erhielt und unterrichtet war, ist nicht bekannt. Allerdings sprach Galen in einem Hirtenbrief vom März 1942 davon, es würden in Deutschland die Menschenrechte des „Blutsfremden“ missachtet, womit für jedermann offenkundig die Juden gemeint waren; insoweit versuchte Galen also, sich indirekt für die Verfolgten einzusetzen.
Ludger Grevelhörster, Kardinal Clemens August Graf von Galen in seiner Zeit, Münster 2005, S. 138 – 140